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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe von 1896 der Zeitschrift Jugend, Münchner Illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben, 1. Jahrgang Heft Nr. 8 im Hith Verlag München.

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Ich sass an einem schönen Herbstabend fröstelnd im Wartsaal einer kleinen Station, einige Stunden nördlich der Stadt, als meiner Einsamkeit durch das Erscheinen eines breitschulterigen, muskulösen Fremden ein Ende bereitet wurde. Seufzend stellte der Ankömmling seinen Koffer auf einen der Tische und rieb sich die erstarrten Finger, während er mit schweren, wuchtigen Schritten auf und ab ging. Ich fand es leicht, mit dem Fremden ein Gespräch anzuknüpfen, und da ich mich gelangweilt hatte, war mein Benehmen um so liebenswürdiger. Person und Wesen meines neuen Bekannten schienen mir den Stempel der Nüchternheit und Alltäglichkeit zu tragen; aber bald fiel mir in seinem Mienen- und Geberdenspiel jene Nervosität auf, die man sonst nur bei Künstlern findet; auch liessen mich einige absichtlich räthselvolle Anspielungen auf ein seltsames Schicksal schliessen. Ich wurde neugierig und gleichwie ich es mühelos gefunden hatte, das Gespräch in Gang zu bringen, traf auch die Befriedigung meiner Neugierde auf wenig Hindernisse. Ja, es schien, als suchte der Fremde eine Aussprache, und es war mir, als gewahrte ich ein Lächeln der Befriedigung auf seinen Lippen, als unser Gespräch so weit gediehen war, dass es nur zwei Möglichkeiten gab: entweder jenes vielsagende Verstummen, das den Sturm schwerer Gedanken verräth, oder den offenen Bericht der Schicksale. Mein neuer Bekannter wählte das Letztere und da es bis zur Ankunft des fahrplanmässigen Zugs noch lange dauerte, begann er also:

„Wie Sie mich hier sehen, komme ich direkt aus dem Irrenhaus. Erschrecken Sie nicht, ich bin nicht entsprungen. Erschreckend ist nur das Schicksal, das mich dahin brachte. Nun, ich verdanke es einer einzigen Nacht, die mich nicht nur auf siebenundzwanzig Monate in Wahnsinn stürzte, sondern mich auch in ein langes Siechthum warf, mich meinem Beruf und meiner Familie raubte und viele, viele Hoffnungen zerstörte. Hören Sie.

„Vor zwei Jahren war ich an einer staatlichen Anstalt im badischen Freiburg als Lehrer der Naturwissenschaften angestellt. Die wilde Poesie des Schwarzwalds fesselte mich täglich mehr und riss mich zu einer Begeisterung hin, wie ich sie vorher der Natur gegenüber noch nicht empfunden hatte. Die Berge ringsum scheinen die Stadt zu umarmen; sie scheinen die Menschen in Gefangenschaft zu halten und fast in alle Strassen blickt ein Stück des düsteren Bergforsts herein.

„Genug davon; da ich viel freie Zeit hatte, war mir bald kein Ort der Umgebung mehr fremd. Eines Tages war ich nebst vier jungen Leuten von dem Sohn eines reichen Industriellen zur Theilnahme an einer Jagdpartie aufgefordert worden. Gegen sechs Uhr Nachmittags marschirten wir lachend und scherzend, denn diese Gesellschaft bildete meinen täglichen Verkehr, nach St. Valentin hinaus. Wir wollten dort übernachten, um bei Tagesanbruch gleich auf dem Anstand zu stehen.

„St. Valentin liegt in einer gelichteten Thalsenkung mitten im Wald. Es besteht aus dem einzigen Häus'chen des Forstwarts, und Tag und Nacht, Sommer und Winter herrscht hier der tiefe Frieden eines weltfernen Winkels. An drei Seiten steigt der Wald empor; nur in der Richtung nach der fernen Landstrasse zieht sich eine Mulde hinab gleich dem vertrockneten Bett eines Baches. — Wir liessen uns an einem der Tische des kleinen Hausgartens nieder; der Waldhüter begrüsste uns mit jener biederen Herzlichkeit, welche den Schwarzwäldlern eigen ist.

„Schon begann die Sonne hinabzusinken; wir sahen sie freilich nicht, aber die Baumkronen schienen geblendet in die überwältigende Gluth des Firmaments zu blicken. Ueber uns lag ein mattblaues Stück Abendhimmel, und wenn man lange hinaufstarrte, konnte man das fahle Funkeln winziger Sterne gewahren. Der letzte Windhauch war entschlummert, aus den Tiefen des Waldes schaute uns die Dämmerung entgegen wie mit lebenden Augen. Der Ruf eines Kärrners schallte bisweilen von der Chaussee herauf, verschleiert wie durch Mauern. Wir alle waren still geworden; die einen aus Müdigkeit und Stumpfheit, die andern wie in der halbbewussten Empfindung eines Geheimnisses rings um sie, für dessen Wahrnehmung sie sonst blind gewesen.

„Eine Purpurfluth stieg längs der Mulde herauf und die braunen, rissigen Stämme färbten sich durchscheinend roth, als wären sie im Feuer vergoldet. Das Moosgrün, das Grün der Blätter, des Grases schien satter, blendender, glühender, und dabei wurden wir alle bedrückt von der Dunkelheit, die im Walde schlief, und die uns wie etwas Körperliches erschien, in dessen Willen es stand sich zu bewegen, sich über uns zu stürzen wie ein Raubthier und uns zu vernichten. Ich glaube fest, dass fast alle Andern dieses Gefühl mit mir theilten: wie wenn es nun in der Macht des grossen, weithingedehnten Waldes läge, sich zu rächen für all die Frevel, die wir an seinen Geschöpfen verübt.

„Nun fing ein Kukuk an zu rufen. In Pausen von zehn bis zwanzig Sekunden erklang sein lockender, etwas schmeichler-

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ischer und geheimnissvoller Schrei. Es war, als riefe er unser Unterhaltungsbedürfniss wieder wach. Einige unter der Gesellschaft sahen sich an, lächelten erstaunt und begannen dann zu schwatzen: — etwas eilig, als schämten sie sich ihres Schweigens.

„Bald gerieth das Gespräch auf einen Gegenstand, der uns am meisten zu beschäftigen pflegte: eine Russin, die zum Sommeraufenthalt in einer Villa am Fusse des Brombergs wohnte, und die auch mich lebhaft interessirte. Sie war weder schön, noch war sie jung; auch einen Ueberfluss von Geist besass sie nicht. Trotzdem, weiss der Himmel wie es gekommen war, hatten wir alle sechs uns ein wenig in sie verliebt. Freilich hatte sie eine zigeunerische Art, das Leben leicht zu nehmen und sich um das Gerede der Welt den Teufel zu scheeren. Sie besass jene naive Koketterie, vor der weder Philosophie noch Menschenkenntniss Stand hält: alles das löst sich in ein Lächeln auf.

,Ich könnte Ihnen nun jedes Wort berichten, das in unserm Kreise fiel. So etwa muss der Mörder jede Einzelheit vor seiner That in der Phantasie bewahren. Freilich, diese zwei Jahre waren eine lange Nacht und mir ist, als wäre ich gestern dort gesessen unter den dunkeln Stämmen des Schwarzwalds.

,Wir könnten eigentlich eine Gesandtschaft an sie abschicken', grunzte Jost Besenhardt, der fette Bureauchef einer Aktiengesellschaft. ,Ich bitte Euch, eine halbe Stunde Wegs und ihr könnt Euch ihre Gunst erschmeicheln …'

„Da sprang ich auf. ,Ach was, Kinder, ich geh!' rief ich erhitzt und schlug mit der Faust auf den Tisch. Ich verstehe nicht, wie ich dazu kam, ein solch aberwitziges Vorhaben auszuführen. Aber es packte mich wie ein Rausch. Es war durchaus nicht Verliebtheit, die mich dazu trieb. Die seltsamen, harzigen, weichen Düfte des Abends mussten mich narkotisirt haben. … Erst lachten sie alle; dann schrieen sie bunt durcheinander: es sei Unsinn, ich würde mich verirren; ich kennte die Nacht des Waldes nicht, — aber sie schrieen umsonst. Ich hatte dafür ein heiteres und sorgloses Lachen, das all' ihre Einwände zurückwies. Meine Begierde stieg vielmehr, wie bei einem Menschen, den man abhalten will, vergrabene Schätze zu heben. Nie war mir eine Sache so ernst gewesen. Ja, ich empfand es wie eine berechtigte Auflehnung gegen die blinden Mächte der Natur, als wäre hier Gelegenheit, Stärke und Muth gegen ein verstandloses Walten der Elemente in's Feld zu führen. Kurz, was soll ich noch sagen, ich ging. Schliesslich wurden sogar die Andern von meinem Feuer angesteckt. Wussten sie doch, dass die Russin solch tolle Streiche liebe. Es war acht Uhr; spätestens um zehn wollte ich zurück sein. Ich rechnete dabei mit der Dunkelheit, da ich bei Tag kaum eine Stunde gebraucht hätte, den mir wohlbekannten Weg um den Berge zurückzulegen.

„Als ich das Gärtchen verliess und mich dem Walde näherte, ergriff mich eine Angst, die jedoch kaum länger als ein paar Sekunden andauerte: gerade wie wenn man eine Saite berührt, so dass sie noch in leisen Schwingungen nachzittert. Als ich den braunen, weichen Waldweg betrat, umgab mich die Dämmerung, und zusehends sank Schatten auf Schatten, dunkel und dunkler herab. Sie wälzten sich her und verbreiteten sich wie die Fluthen eines überquellenden Stromes, nur dass nichts davon zu hören war. — Ich konnte den Weg vor mir noch sehr gut erkennen, doch verengerte sich mein Gesichtskreis immer mehr und mehr, gleich als würde eine unsichtbare Lampe langsam niedergeschraubt. Der Kukuk hatte aufgehört zu rufen, und es war so still, wie es auf dem Grund des Meeres sein muss. Anfänglich hatte ich bisweilen glitzernde, blutrothe Brandstreifen des westlichen Himmels durch die Stämme wahrzunehmen vermocht, aber das hörte auf, als ich tiefer in den Wald drang, wie überhaupt jede Farbenabtönung ringsumher erstarb.

„In vielen Krümmungen wand sich der Weg, nur wenig ansteigend, nur selten sich senkend. Oft bildete der Pfad einen ganz scharfen Winkel, zwischen dessen Schenkeln ein kleines Waldthal wie eine Schale lag, während an der Spitze der Berghang emporstieg in's Dunkle des Abends. Dann hörte ich die Kirchenglocken von Güntersthal und stand still, den Klängen lauschend, die wie fromme Melodieen halblaut durch die Lüfte zogen.

„Doch jetzt wurde es immer finsterer. Und immer dichter schlossen die Baumkronen ihr Laubdach über mir zusammen, und immer enger standen die schlanken hohen Stämme beieinander, als hätten sie plötzlich begonnen zu wandern, als fürchteten sie einen Verräther zwischen sich, den sie nicht entrinnen lassen durften. Der Abendsegen war zu Ende geläutet und ein Schweigen lagerte rings, wie ich es niemals im Leben sonst empfunden habe. Die dürren, abgelegnen, rothen Blätter auf dem Walderdreich, die ich bis vor wenigen Minuten noch zu sehen vermocht hatte und die mir in dem unbestimmten Licht wie ein endloses Korallenlager erschienen waren, umhüllten sich jetzt völlig mit dem schwarzen Mantel der Nacht.

„Ich stand still. Ich lauschte. Mein Herz klopfte rasch und hörbar. Aber als ich das eintönige und angenehme Geräusch meiner Schritte nicht mehr vernahm, überfiel mich eine starke, ausdauernde Furcht. Ich fing an rascher zu gehn, aber bald stand ich wieder lauschend. Ich überlegte, ob ich nicht umkehren solle, aber noch waren die Vorstellungen von dem Hohn der Freunde so lebhaft in mir, dass ich mich vor Scham erröthen fühlte … Instinktiv suchte ich nach Streichhölzern in den Taschen: ich hatte nicht eines bei mir. Und es ward immer noch finsterer. Erschreckt gewahrte ich, bis zu welcher Grenze die Tiefe der Nacht gehen könne. Noch niemals hatte ich diese, die eigentliche die gewaltige Finsterniss erschaut. Die Finsterniss, die es unmöglich macht, die eigne Hand zu sehen, die dem Körper alle Sicherheit der Bewegung raubt, das Athmen erschwert … Die Nacht hatte ich nie anders als in der milden und wohlthuenden Dämmerung eines freien Himmels erblickt: — diese Nacht war mir fremd. Sie erfüllte mich mit Grausen, mit Entsetzen. Ich fühlte etwas Schweres auf meinem Schädel lasten: das war die Finsterniss.

„Aber nun entdeckte ich, dass ich vom Weg abgekommen, und schon zwischen den Stämmen umherirrte. Ich blieb stehen und von den Fusssohlen aus zog eine widerwärtige Kälte über meinen Körper. Mir war, als sei ich soeben aus dem Bad gestiegen und nassen Leibes in die Kleider gestürzt. Ich wagte nicht zu rufen. Was hätte es auch geholfen, zu rufen? Freilich, nicht die Einsicht in die Nutzlosigkeit hielt mich davon ab, sondern ich fürchtete mich. Die Finsterniss schien mich zu umarmen, ja, sie schien sich anzufühlen; mir war, als ob ich sie greifen könne, wie man ein Stück Sammt mit den Fingern greift. Der ganze Wald nahm für mich das Wesen einer Person an, ausgerüstet mit teuflischen Mitteln, einen Menschen zu Grunde zu richten.

„Ich hörte ein Rascheln im Laub, wie von hurtigen Tritten, ein Knacken der Zweige, wie wenn sich Jemand vom Boden aufrichtet: und meine Glieder begannen heftig zu zittern. Wohl sagte ich mir, — und ich sagte es mir vielleicht hundertmal: das ist ein Reh, irgend ein scheues Waldthier … Aber mein Gemüth war nicht mehr empfänglich für eine vernünftige Deutung … ich umfasste mit den Armen einen herab-

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hängenden Ast und biss die Zähne in's Holz, um zu verhüten, dass ihr Klappern hörbar würde.

„Auf einmal aber sah ich ein Licht. Wenn ich sage, dass alle Funktionen des Blutes plötzlich stockten, so sage ich zu wenig. Mein Herz hörte auf zu schlagen, in meine Augen drängte sich eine heisse Nässe, die den Blick gleichsam verhängte. Mit den Füssen fühlte ich mich nicht mehr auf festem Grund stehend, mir war,als schwebe ich in freier Luft. Ueber die Haut des Rückens liefen blitzschnelle, eisigkalte Schauer und der Gaumen war trocken wie Leder. Dort drüben, als ob es aus dem Berg hervorquölle, funkelte ein eigrosses, silberbleiches, schwankendes Licht. Ich stürzte fort. Ich hörte Gemurmel und Geraschel und Gezischel hinter mir; ich fühlte Fäuste an meinem Nacken, die mich weiterstiessen, und als ich mich umzusehen wagte, sah ich immer noch das Licht … Und ich betete!

„Sie werden freilich lächeln, wenn ich Ihnen die Quelle dieses spukhaften Lichtes angebe. Doch mir verschaffte es nur kurze Erleichterung, als ich fand, dass es der Mond war, von dem ein kleiner Ausschnitt durch ein Loch zwischen den Blättern fiel, sodass es aussah, als hänge eine bleiche Ampel dort … Sie dürfen nicht glauben, dass ich eine furchtsame Seele sei, ein mattes, schreckhaftes Herz besitze. Nein, im Gegentheil, ich war stets ein sehr thatkräftiger und muthiger Mensch. Aber diese Finsterniss lähmt alles Urtheil, alle Vernunft, alle Besonnenheit, alle Kräfte. Es ist die Finsterniss des unendlichen Raums, die das Leben erstickt, den Organismus zerstört. Doch hören Sie weiter!

„Ich kam nun auf einen breiten Fahrweg und über mir stand der klare, wolkenlose Himmel. Es war, als ob ich in den lichten Tag hinausgetreten wäre. Ich konnte über die Baumwipfel, die am Abhang standen, hinausblicken auf eine Landschaft, die begraben war in nächtlicher Dämmerung. Den Horizont umsäumte wie ein schmales Band das letzte ersterbende Roth des Sonnenuntergangs: tief und düster, glanzlos und verschwommen zog es hin, den Rand der fernen Berge kaum berührend. Aber ich hörte keinen Laut, eine so bedrückende Stille war in aller Gotteswelt. Kein Hund bellte, keine Glocke tönte, kein Stundenschlag klang an mein Ohr: nichts! Der Mond stand seitwärts hinter dem Wald, und er war es, der diese graue, nebelhafte Dämmerung über alles Land warf.

„Ich wusste nicht, wo ich mich befand. Lange zögerte ich weiter zu gehen, aber endlich beschloss ich doch den gefundenen Weg zu verfolgen. Und nur zu bald musste ich diesen Entschluss bereuen. Hätte ich mich doch dort niedergeworfen in das Moos, in's dürre Laub und wachen Auges das Morgenroth erwartet!

„Wieder schlossen sich die Kronen über mir. Und als ich umkehren wollte, von Grauen erfasst, gerieth ich auf einen ganz falschen Weg. Den Irrthum nicht gewahrend, schritt ich weiter und immer weiter wie der arme Flüchtling des Märchens und schliesslich verlor ich wieder den Pfad unter den Füssen. Mit der Stirn stiess ich an einen Stamm und ich jammerte auf vor Schmerz. Der Berg neben mir schien verschwunden, denn nach welcher Richtung ich mich auch wenden mochte, der Boden blieb eben. Bald fiel ich über einen Stein und riss mir die Hände wund, bald zerrissen die Dornen das Fleisch meiner Wangen.

„Und dann beschloss ich, mich niederzulegen. Ich wollte das Umherirren aufgeben und auf das Licht des Tages harren. Ich warf mich auf den trocknen, warmen Waldboden und schloss die Augen. Zuerst verursachte mir die ununterbrochene Stille eine quälende Unruhe und ich wagte mich nicht zu rühren. Ich zog meine Taschenuhr und lauschte ihrem monotonen Ticken. Aber während ich sie noch am Ohr hielt, stand sie still. Werden Sie es glauben, dass dieser kleine, ja lächerliche Umstand mich in solch wahnsinnige Aufregung versetzte, dass ich dalag, in Schweiss gebadet und immer noch horchte … horchte, ob es denn möglich sei, dass dies Räderwerk dem lähmenden Einfluss der Finsterniss unterlegen … Und nun sah ich ein blutrothes Gesicht vor mir, das sich abhob aus dem dichten Dunkel wie ein Bluttropfen auf schwarzer Seide. Und gleich daneben noch eines, aber mit grünlicher Färbung und noch eins … noch eins … noch eins … sie tanzten um mich herum, bliesen mir ihren Hauch in's Gesicht … Und da hörte ich auch reden … Worte, schwer hervorgelallte, wie hingeseufzt, wie durch eine Schicht Erde hindurchgesprochen. Und die Nacht starrte mich an, so grausam und unbarmherzig: ich fühlte deutlich, wie sich die Finsterniss an meine Brust andrängte, wie ich die Lider schliessen musste unter der Gewalt. Und da sprang ich auf und griff mir an den Kopf und wimmerte, winselte … Gestalten stiegen rings aus dem Erdboden und sahen mich an … Nein, das waren keine Hallucinationen, das war! … Das sind Dinge, von denen wir nichts wissen, von denen wir nichts wissen werden, bis das Ende gekommen ist und die ewige Finsterniss.

„Was soll ich Ihnen noch weiter sagen? Ich bringe es kaum über mich, dieses Letzte zu schildern, diesen letzten Schrecken, der mir den Verstand geraubt. Sehen Sie, wenn Sie in nächtlicher Einsamkeit vor Ihrem Bett sitzen, und ein Stuhl, der vor Ihnen steht, fängt plötzlich an, sich von selbst zu bewegen, und er steht dann von selbst auf dem Tische, ohne dass Sie nur die Hand gerührt haben, so mag Ihr Entsetzen vielleicht ein ähnliches sein. Da scheint der ganze Körper zusammenzuschrumpfen, man fühlt nichts mehr an sich, wo man hintastet, greift man ins Leere, Haut und Fleisch sind Luft geworden für die Zeit dieses Schreckens…

„Wie ich nun so stand, noch zitternd von all dem Ausgestandenen, fällt plötzlich ein heller, gleissendrother Lichtkegel hinein in die Tiefen des Waldes. Ich sah es mit denselben Augen, mit denen ich jetzt dieses Fenster sehe. Niemand kann sagen, ich hätte geträumt, oder mein Auge, meine überhitzte Phantasie hätte mich betrogen. Nein, ich sah es deutlich und die Kraft der Erinnerung an das unverlöschliche Bild des plötzlich erleuchteten Forstes ersticken jeden Zweifel in mir. Es war, wie wenn die Erdrinde zu Glas geworden wäre und die Feuersbrünste, die im Innern des Planeten wüthen, hätten für die Dauer von zehn Sekunden ihren Schein heraufgeworfen … Nun, am Morgen fanden mich meine Freunde im Fieberdelirium. Ich lag am Waldrand, hundert Schritte von St. Valentin … Ah, nun kommt ja auch unser Zug schon.