Einst berühmt - dann verfemt
Wie viele Bücher jüdischer Autoren durfte auch das Werk des Schriftstellers Jakob Wassermann während des Dritten Reiches in Deutschland nicht mehr aufgelegt und verbreitet werden Wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen war Wassermann, als der braune Spuk vorüber war, vergessen und ist es offenbar bis in unsere Gegenwart hinein, im Gegensatz zu anderen Autoren, die inzwischen, wenn auch mitunter reichlich spät, wieder entdeckt wurden und gelesen werden. Denn selbst heute noch werden Wassermanns Bücher nur von wenigen gelesen, in erster Linie von Literaturwissenschaftlern und literarisch interessierten Menschen. Mancherlei Versuche, dem einstigen Bestsellerautor zu neuer Wirkung zu verhelfen, hatten bisher keinen allzu großen Erfolg, obgleich sofort nach dem Krieg etliche seiner Bücher neu aufgelegt wurden. Gegenwärtig sind im Buchhandel elf seiner Bücher vorrätig. "Der Fall Maurizius" ist sogar als Hörspiel zu haben.
Doch zwischen 1900 und 1933 hatten die Leser die dicken spannenden Romane Wassermanns geradezu verschlungen, wie etwa "Kasper Hauser", den Nürnberger Künstlerroman "Das Gänsemännchen" oder "Der Fall Maurizius". Sie alle errangen Welterfolge und stempelten ihren Verfasser zu einem der populärsten und am meisten gelesenen deutschen Schriftsteller - neben Thomas und Heinrich Mann. "Er hat die Gabe des Fabulierens", sagte Thomas Mann einmal, "die alle erschlägt." Zweifellos zählte Wassermann in der Weimarer Republik zu den großen Erfolgsschriftstellern. Allein der S.Fischer-Verlag setzte anderthalb Millionen Exemplare seiner Bücher ab, die in viele Sprachen übersetzt wurden.
Sein noch im 19.Jahrhundert verwurzeltes und dann im ersten Drittel des 20.Jahrhunderts, zu breiter Wirkung angewachsene Werk kennzeichnet ein wichtiges Kapitel deutscher Erzählkunst. Doch dem Ruhm in der eigenen Epoche folgten Missachtung und Ächtung. Wassermann, der sich des Schicksals Deutscher und Jude zu sein, stets sehr bewusst war, verfiel in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur der Verfemung.
Lebenslauf
Die ersten sechzehn Lebensjahre verbrachte der am 10.März 1873 in Fürth als Sohn eines jüdischen Spielwarenfabrikanten geborene Jakob Wassermann in seiner Geburtsstadt.
"Mein Vater ist ein kleiner Kaufmann gewesen", notiert Wassermann in seinen Erinnerungen, "dem es auf keine Weise wie den meisten seiner Glaubens- und Altersgenossen gelingen wollte, Reichtümer zu erwerben. … Er hatte in Geschäften eine unglückliche Hand. … Er gründete eine kleine Fabrik und machte bald darauf Bankrott."
Die Fürther Zeit hat Wassermann stark geprägt. Gehören doch der frühe Tod der Mutter - sie starb, als Jakob neun Jahre alt war - und eine "böse Stiefmutter, wie es sie sonst nur im Märchen gibt, zu Wassermanns traumatischen Kindheitserfahrungen, und so ist es wohl kein Zufall, dass er in manchen seiner Bücher, zum Beispiel in "Caspar Hauser" und "Etzel Andergast," ein innerlich elternloses Kind vorgestellt hat. In seiner Autobiographie "Mein Weg als Deutscher und Jude" schildert er seine eigene entbehrungsvolle Jugendzeit, sein Leiden unter der "Luft der Armut und Lieblosigkeit im väterlichen Haus", unter dem jüdisch-mittelfränkischen Kleinbürgertum und der wilhelminischen Schule als seelenloser Ordnungsanstalt.
Früh war in Wassermann die Lust am Erzählen erwacht, das Bedürfnis "Kunde zu geben", wie er es nannte. Doch wurden seine schriftstellerischen Neigungen von Vater, Stiefmutter und Schule aufs heftigste unterdrückt. Ihnen galten Lebendigkeit und Fantasie als unwürdig und verdammenswert.
Nach der Schulzeit ging Jakob Wassermann bei einem Onkel in Wien in die Lehre, die er jedoch bald abbrach. Nach dem einjährigen Militärdienst - hier wurde er häufig wegen seiner körperlichen Untauglichkeit angepöbelt und bekam antisemitische Frechheiten zu hören - arbeitete er als Versicherungsangestellter in Nürnberg. 1894 wird er in München Sekretär beim Schriftsteller Ernst von Wolzogen, dem späteren "Überbrettl"-Gründer und Redakteur beim "Simplizissimus". In Ernst von Wolzogen und im Verleger Albert Lange findet er erste Förderer. Bei Langen erscheint 1897 sein erster Roman "Die Juden von Zirndorf", dem Wassermann seinen ersten Ruhm verdankt. Während seiner dreijährigen Tätigkeit als Lektor beim "Simplicissimus" lernt Wassermann Thomas Mann, Rainer Maria Rilke, Hugo von Hoffmannsthal und Arthur Schnitzler kennen. Im Mai 1898 übersiedelt er nach Wien, wird dort Theaterkorrespondent und verlegt bald darauf seinen Wohnsitz nach Altaussee in der Steiermark.1901 heiratet er Julie Speyer, eine exzentrische jüdische Tochter aus reichem Wiener Haus, und erringt zunehmend schriftstellerische Erfolge. Aber die Ehe verläuft glücklos und wird geschieden.
Später heiratete er die deutsche Wienerin Marta Karlweis. Doch nur mit Mühe konnte er seine Lebensangst bändigen. Seine erste Frau überzog ihn mit Geldforderungen und Gerichtsbescheiden - davon wird in "Kerkhoven" erzählt. Auch liebten Wassermann und seine Frau Marta das Leben auf großem Fuß. Seine letzten Werke zeigen eine unaufhörlich anschwellende Angst und Verzweiflung. Der Zusammenbruch kam mit der Machtübernahme der Nazis.
Nachdem Wassermann im März 1933 in einem Artikel für die "Neue Rundschau" den deutschen Antisemitismus ungeschminkt angeprangert und Klaus Mann einen seiner Vorträge, in dem Jakob Wassermann darlegt, wie er sich als Jude versteht, in seiner Exilzeitschrift "Die Sammlung" abgedruckt hatte, wurde der Schriftsteller Anfang Mai 1933 wurde aus der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen und sein Werk nicht mehr gedruckt. Aber unbeirrt schrieb Wassermann weiter an seinem Roman "Joseph Kerkhovens dritte Existenz" und plante, anschließend die Lebensgeschichte des Ahasver, des ewigen Juden, zu erzählen. Dieses Vorhaben konnte der Autor allerdings nicht mehr ausführen. Der Tod kam ihm zuvor. Er ereilte ihn in seinem österreichischen Landhaus am 1.Januar 1934 und ersparte ihm die persönliche Verfolgung durch die Machthaber des Dritten Reiches. In einem Nachruf auf ihn heißt es: "Er starb auch an seinem Gram und den Qualen der Zeit."
In "Joseph Kerkhovens dritte Existenz" - der Roman erschien 1934 posthum im holländischen Exil-Verlag Querido - steht der geradezu prophetische Satz: "Es kommt eine finstere Zeit. Seit einem Jahrtausend war keine ähnliche", und in Wassermanns "Selbstbetrachtungen" heißt es nicht minder vorausahnend, der "Ofen des Antisemitismus" sei entfacht und werde Millionen verbrennen.
Das Werk von Jakob Wassermann
Zu Wassermanns wichtigsten Büchern zählt das Werk "Die Juden von Zirndorf". Der Roman - Wassermann schrieb ihn mit 23 Jahren - erzählt die Geschichte des Propheten und Erlösers Agathon Geyer und zeichnet ein packendes Bild vom Auszug fränkischer Dorfjuden unter dem Einfluss der sabbatianischen Bewegung des 17.Jahrhunderts. Zudem kreist das Buch, das heute fast vergessen ist, um das Problem der jüdischen Identität zwischen Assimilation und Antisemitismus.
Das allererste Buch von Wassermann war jedoch der 1896 unter dem Titel "Melusine" veröffentlichte Liebesroman, von dem sich sein Verfasser jedoch bald distanzierte.
Auf "Die Juden von Zirndorf" folgten 1905 der Roman "Alexander in Babylon", 1906 die Novelle "Die Schwestern", von der Wassermanns Freund Hofmannsthal sehr angetan war, und 1908 der Roman "Caspar Hauser oder die Trägheit des Herzens", 1915 der Roman "Das Gänsemännchen", 1919 das zweibändige Werk "Christian Wahnschaffe", der mitten im Ersten Weltkrieg entstand und von einem reichen Jüngling handelt, der sich von seinem Vater, einem großen Industriellen, trennt, um nach dem Vorbild Buddhas und Tolstois nur den Armen zu leben und ihnen zu helfen, ferner die Romane "Laudin und die Seinen", die berühmt gewordene Autobiographie "Mein Weg als Deutscher und Jude" und der nicht weniger populär gewordene "Fall Maurizius".
Henry Miller, durch Welten der Form und des Stils von Wassermann getrennt, bekannte in einem Essay, dass er den "Fall Maurizius" so oft, so erschüttert gelesen habe wie kein anderes Buch. Dieses Buch - es war der erste Band von Wassermanns groß angelegter Trilogie - schloss mit dem Satz: "Damit endet der Fall Maurizius, nicht aber die Geschichte von Etzel Andergast." Der zweite Teil erschien mit dem Titel "Etzel Andergast" - Etzel Andergast, der Held des ersten Buches spielt auch hier eine entscheidende Rolle - und der dritte Teil ist das schon erwähnte Nachlasswerk "Joseph Kerkhovens dritte Existenz". Dieser, der ältere Freund und Lehrmeister von Etzel, ist hier die beherrschende Gestalt.
Etzel gilt als Wassermanns großer positiver Held, als sein Ideal- und Wunschbild eines erneuerten Menschen der Zukunft und ist, wie seinerzeit Karl Rauch im Berliner "Telegraf" bemerkte: "Ein Beitrag zur immerwährenden Auseinandersetzung der Söhne mit den festgefahrenen Ansichten der Väter."
In seinen Romanen behandelte Wassermann wiederholt jüdische Gestalten und Probleme, nicht immer so direkt und manifest wie in "Juden von Zirndorf". Aber implizit sind diese in den meisten seiner Werke vorhanden. Die Heldin des Romans "Die Geschichte der jungen Renate Fuchs" (1900) ist beispielsweise eine Jüdin und in "Der Fall Maurizius" geht es um einen assimilierten Juden.
"Der Fall Maurizius", der Wassermann in seiner Zeit vor allem bekannt machte, handelt in der Gestalt des Warschauer-Waremme von den Erfahrungen der damaligen jüdischen Generation. In der ambivalenten Figur Warschauer-Waremme laufen alle Argumentationsstränge zusammen. Warschauer vollzieht den typischen Weg des Ostjuden nach West, über Deutschland nach Amerika und kehrt geläutert in den Osten zurück.
Hauptthema seines Werks ist die deutsch-jüdische Identität. Beide, Leben und Werk Wassermanns, haben ihre Wurzeln im 19.Jahrhundert. Schließlich war Wassermann noch ein Zeitgenosse Emile Zolas. Auch erschien das Buch, das ihm zum großen Durchbruch verhalf, "Die Juden von Zirndorf", bereits im Jahr 1897. Doch sein eigentlicher Ruhm, der zeitweise sogar den von Thomas Mann überstrahlte, begann erst Anfang des vorigen Jahrhunderts und gründete sich auf einer Vielzahl von Romanen, Erzählungen und Essays, die viele Stilwandlungen aufweisen und offensichtlich den Nerv seiner Zeit getroffen haben.
Einen "Teppich von Gestalten" nannte Wassermann das Leben und glaubte, dass man der Unerschöpflichkeit des Schicksals nur durch Erzählen beikommen könne. Der Spötter Egon Friedell sagte einmal von ihm: "Wassermann soll gerade dabei sein, den Roman einer Hausgehilfin zu schreiben. Dieses Dienstmädchen aber hat einen Vetter. So muss er die Geschichte verlassen und sich ein wenig dem Vetter widmen. Über Nacht bekommt dieser Vetter einen Großonkel. Dieser Großonkel aber hat drei Nichten, die eigentlich doch den gleichen Anspruch an Wassermanns Erzählen haben.." Das war gut und lustig beobachtet. Doch stand eine ernste Wahrheit dahinter: der Gobelin menschlichen Schicksals wird niemals zu Ende gewebt. Erst mit seinem eigenen Tod legt der Dichter das Werkzeug aus der Hand. Wie Thomas Mann so brauchte auch Wassermann viel Raum zum Erzählen. Die Kurzform war seine Sache nicht.
Häufig kommen in seinen Büchern entwurzelte Juden vor, die sich der intellektuellen Elite anschließen, aber dort keinen Platz finden und deshalb trotz ihrer scheinbaren Assimilation Außenseiter bleiben. Ihre Außenposition schärft ihr Beobachtungs- und Urteilsvermögen.
Gegen Ende seines Lebens, wollte Wassermann, wie oben angedeutet, einen Roman über das Schicksal des ewigen Juden, Ahasver schreiben. Er sollte die Geschichte des jüdischen Volkes durch zweitausend Jahre in der Gestalt von historischen Bildern und Dialogen behandeln und die Erfahrungen und vergeblichen Bemühungen um die deutsch-jüdische Synthese der Juden in Form von Bildern und Gesprächen zum Ausdruck bringen mitsamt der Geschichte des jüdischen Volkes durch zweitausend Jahre, personifiziert in der Gestalt des ewigen Juden. Dieser geht durch die Zeiten und erlebt das jüdische Schicksal. Alle Wendepunkte dieser einzigartigen Geschichte sollten beleuchtet werden. Wassermann schreibt am 25.August 1933 an seinen englischen Verlagsagenten Otto Klement, dass er eine große Anzahl schon skizziert habe, "Gespräche mit Paulus, Julian Apostata, Karl dem Großen, Papst Innozenz, der spanischen Isabella, Spinoza, Richelieu, Cromwell, Katharina II., Friedrich dem Großen, Maria Theresa, Napoleon, Karl Marx, Bismarck, Lenin und - Hitler. Daneben Bilder von Austreibungen, Gelehrtenschulen, Sektenbildungen, Bankengründungen usw., usw." Das "Ahasver"-Projekt bedeutete offensichtlich die Abkehr von einem Land, dem Wassermann sich zugehörig wusste; denn selbst viele gebildete Bürger- das musste Wassermann voll Schmerz erkennen - bekannten sich zu Hitler. Hätte Wassermann länger gelebt, hätte er angesichts der Ereignisse in Deutschland wohl ebenfalls "seinen" Wanderstab aufnehmen müssen.
Dreifache Isolierung
Mehr als zehn Jahre vor dem Machtantritt der Nazis hatte Wassermann, unter dem Eindruck der mit Kriegsende und Revolutionsversuchen einhergehenden antisemitischen Exzesse in Deutschland im Spätsommer 1920 mit der Niederschrift seiner Autobiographie "Mein Weg" begonnen, die er am 2.Dezember 1920 in Altaussee abschloss. Schon hier hat er eine dreifache Isolierung notiert, "als Literat, als Deutscher ohne gesellschaftliche Legitimation, als Jude ohne Zugehörigkeit". In diesem Werk schildert er, wie ihm die Doppelexistenz als Jude und Deutscher Schmerz und Qual bereitet hat. Wir sehen den Schriftsteller in der Gestalt des entwurzelten Juden, ohne Bindung an sein Judentum.
Lange hat er verzweifelt an der deutschen Überlieferung fest gehalten. "Sich fremd unter Fremden im fremden Land zu fühlen, das hat der aufrichtige und seiner selbst gewisse Jude natürlich nie verlernt, denn mit Liebe ward ihm nichts gewährt. Einen Rechtstitel auf seinen Besitz konnte er, durfte er niemals überzeugend nachweisen. Um so inniger, heimlicher, verhaltener ist oft sein Verhältnis zu Land und Landschaft. Es hat Juden gegeben, die aus Scham über die Liebe in einem Wahnsinn des Herzens zu Leugnern und Verrätern wurden", schreibt er in seinem Essay "Das Los der Juden".
Wassermann verstand sich weder als deutschen Juden noch als jüdischen Deutschen. Er wollte beides zugleich und ineins sein.
Von der deutschen Seite, der seine ganze Liebe und Verehrung gehörte, hat er indessen viel Ablehnung und wenig Verständnis erfahren, und so bekennt er bitter: "Es ist vergeblich, das Volk der Dichter und Denker im Namen seiner Dichter und Denker zu beschwören. Jedes Vorurteil, das man abgetan glaubt, bringt wie Aas die Würmer, tausend neue zutage… Es ist vergeblich, für sie zu leben und für sie zu sterben. Sie sagen: Er ist ein Jude."
Das Misstrauen seiner deutschen Landsleute, das sich davon nährte, dass er ein Jude war, hat gravierend sein Leben bestimmt. So ist es sicher kein Wunder, dass Moritz Heimann, seit Ende 1895 Lektor im S.Fischer-Verlag, in den "Juden von Zirndorf" den Ausdruck heimlicher Sehnsucht eines Juden entdeckte, der "nicht in scheuen Kompromissen und nicht im Zionismus Beschwichtigungen" sucht.
Tief bestürzt war Wassermann nicht zuletzt auch über das ständige Aufflammen des Antisemitismus, gegen den er einen lebenslangen literarischen Feldzug führt. Erste Anfeindungen hatte er schon in der Kindheit und Jugend erlebt, Anfeindungen, die seinem Judentum galten: "Das war alltäglich", und immer wieder fragt er sich, was es eigentlich mit dem berühmten Rassenhass auf sich habe?
Auf der andren Seite leistete er aber auch Widerstand gegen einen nationalen Zusammenschluss der Juden außerhalb Europas. Seine Furcht vor dem Ende ihrer "weltgeschichtlichen Mission" nach einer Staatsgründung äußert er in seinem Essay "Die psychologische Situation des Judentums." Als er nach Wien kam, erlebte er die Entstehung des Zionismus hautnah mit, dem er sich allerdings verschloss.
"Ich bin ganz und gar kein Zionist", schreibt er an Georg Brandes am 21.Dezember 1901, "und stehe diesem thörichten Treiben vollständig, persönlich und geistig, fern."
"Man macht ja immer wieder die niederschlagende Erfahrung, dass jede spezifische Nationalempfindung, um viel mehr noch jede nationalistische, durchaus keine Kritik oder reine Kennzeichnung durch Gestalt verträgt, sondern lediglich lammfromme Idealisierung und servile Lobhudelei. Das ist bei Juden nicht anders als bei den Deutschen oder Franzosen."
Mit der Gemeinschaft der Juden wiederum fühlte er ebenfalls keinerlei tiefen Zusammenhang und identifizierte sich daher nicht mit seiner jüdischen Herkunft. Zudem muss man bedenken, dass zur Zeit von Jakobs Geburt die Emanzipation längst begonnen hatte, und dass sein Vaterhaus den jüdischen Kultus nur noch von ferne kannte, das war im zwanzigsten Jahrhundert keine Seltenheit mehr. Auch die jüdische Religion bedeutete ihm nichts. Denn Die so wie er sie kennen gelernt hatte, erschien sie ihm eifernd und seelenlos - "von einem seelenlosen Manne seelenlos gelehrt" -, der Ritus ein leeres Geplapper, die Judenschule eine hohle Pflicht. Der jüdische Gott war ihm erschreckend nichtssagend."Genau betrachtet war man Jude nur dem Namen nach.." und der jüdische Gott nur ein Schemen.
Wassermann vermochte daher keine Bindungen zum jüdischen Glauben zu entwickeln. Stattdessen rebellierte er gegen seine erzwungene Aufnahme in die Gemeinde Hiobs. Er wollte seine Rechtfertigung als Mensch, als deutscher Dichter und nicht, wie er sich ausdrückte, für ein Verbrechen verurteilt werden, das er nie begangen hatte. Das Leiden an seinem Judentum rührte mithin aus der passiv erfahrenen und von außen kommenden Zugehörigkeit zu ihm, nicht aus der Wahl seines Herzens. Wassermann hat die Probleme und Sackgassen des Judentums scharf kritisiert und mit ihnen gelitten. Nicht von ungefähr warf ihm Thomas Mann sein jüdisches Trauma vor. Zudem war Wassermann offensichtlich nicht ganz frei von jüdischem Selbsthass wie die folgende Passage zeigt: "Leider steht es so, dass der Jude heute vogelfrei ist. Wenn auch nicht im juristischen Sinne, so doch im Gefühl des Volkes. Leider steht es so, dass man den Beauftragten wie den freiwilligen Hetzern einen Grund nicht absprechen kann. Bei allem Bildersturm, allem Paroxysmus oder sozialen Forderung waren Juden, sind Juden in der vordersten Linie. Wo das Unbedingte verlangt, wo reiner Tisch gemacht wurde, wo der staatliche Erneuerungsgedanke mit frenetischem Ernst in Tat umgesetzt werden sollte, waren Juden, sind Juden die Führer. Juden sind die Jakobiner der Epoche", sie säkularisierten den jüdischen Messianismus und begriffen sich als idealistische Heilsbringer.
Er fand zwar viele Freunde unter den Juden, doch bangte ihm vor dem harten, richtermäßigen politischen Radikalismus aus jüdischer Tradition, wo die Gesinnung den Sinn zerstöre und die verschlingenden Phrase produziere.
Seine Vorfahren, hob Wassermann einmal hervor, hätten seit mindestens fünfhundert Jahren im fränkischen Land gesessen und dass es ihnen und ihresgleichen nicht gelungen sei, "sich dem Körper der Nation tiefer zu vermischen", betrachte er "nicht ausschließlich als der Juden Schuld" - im Grunde ein demütiges Wort, so kommentierte Hilde Spiel diese Bemerkung.
Wassermann lehnte sowohl extreme Assimilation als ich auch den Zionismus entschieden ab. "Ich bin im Innern deutscher als ich selber will." Und genau dies machte es Wassermann unmöglich, die vielleicht bequemeren Wege einzuschlagen, den der Assimilation oder den des Zionismus.
Der Schriftsteller kritisierte Heine, der sein Judentum für ein Linsengericht verkaufte und dann sein bitteres Gift über Deutschland ausgoss. Aber auch Wassermann liebte und hasste das deutsche Volk gleichermaßen, und wie Heine war er ein Fremder in seiner Mitte. Er war von der Idee einer Konversion abgestoßen und erlitt doch das schicksalhafte Erbe seiner Väter. Wie bei Kafka sind seine Wurzeln in den Spannungen und Konflikten zu sehen, die die jüdische Existenz bestimmen. Allerdings thematisiert Wassermann seine Fragen nicht auf jener hoch metaphysischen Ebene, die für Kafka so bezeichnend ist, vielmehr ist in seinen Werken die individuelle Situation fest in der sozialen verankert.
Zwiespältige Beziehung zum Ostjudentum
Zwiespältig war auch Jakob Wassermanns Beziehung zum Ostjudentum. Fremd stand er dem in Wien und Unterfranken angetroffenen Ostjudentum mit seinen angeblich wucherischen und ghettohaften Zügen gegenüber. In seinem Rechenschaftsbericht "Mein Weg als Deutscher und Jude" heißt es: "Sah ich einen polnischen oder galizischen Juden, sprach ich mit ihm, bemühte ich mich, in sein Inneres zu dringen, seine Art zu denken und zu leben zu ergründen, so konnte er mich wohl rühren oder verwundern oder zum Mitleid, zur Trauer stimmen, aber eine Regung von Brüderlichkeit, ja nur von Verwandtschaft verspürte ich durchaus nicht. Er war mir vollkommen fremd, in den Äußerungen, in jeden Hauch fremd, und wenn sich keine menschliche Sympathie ergab, sogar abstoßend." Anderereits bewunderte er jene Gestalt des Judentums, die er das "jüdische Judentum" nannte, jenen Gegensatz zum "deutschen Judentum".
In einem Brief an Martin Buber beschreibt er eine Gestalt, die zum modernen Juden im Gegensatz steht, und singt ein Loblied auf jene Ostjuden, die auch bei Buber alle Aufmerksamkeit auf sich zogen:"Der Jude hingegen, den ich den Orientalen nenne - er ist natürlich eine symbolische Figur; ich könnte ihn eben sowohl den Erfüllten nennen oder den legitimen Erben -,..da ihn ein edles Bewusstsein, Blutbewusstsein, an die Vergangenheit knüpft und eine ungemeine Verantwortung der Zukunft verpflichtet.. Er kennt seine Quellen, er wohnt bei den Müttern, er ruht und schafft, jene sind die ewig wandernden Unwandelbaren."
Das kosmopolitische Judentum empfand der Schriftsteller dagegen als entfremdet und entwurzelt, als ein Judentum, das sich seiner selbst schämt, das äußerliche Judentum der Wassermanns. Andererseits ist das innere Judentum - auch das der Wassermanns - jenes, das mit den (Ur-)Müttern lebt, das all seine irrationale Kraft erhalten hat. Ein Judentum ohne Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten, ohne Heimat wird einem Judentum gegenübergestellt, dessen Vergangenheit es auf seine Zukunft hin verpflichtet, das stolz die Verantwortung für seine eigene Existenz übernimmt.
Von daher verachtete Wassermann seine eigene Maske, die des "deutschen Juden", der zwischen den Extremen nichts als ein entwurzelter Kosmopolit und in seinen eigenen Augen stigmatisiert ist. Wie schmerzlich die Erfahrung der Unsicherheit für ihn war, machen seine Erinnerungen deutlich:"Wozu war man also noch Jude und was war der Sinn davon?" Vielleicht ließ ihn gerade diese Unsicherheit jene Juden beneiden, die sich über ihre eigene Identität keine Gedanken machten, sondern die sich selbst als selbstverständliche Wesen lebten. Er war hingerissen von jüdischem Stolz, weil er selbst durch seine Zurückweisung durch die kultivierte deutsche Gesellschaft so gedemütigt war, jener Gesellschaft, in die er Eintritt suchte. "Die Emanzipation", sagt sein Held Warschauer, ist "eine listige Erscheinung... sie nimmt dem Unterdrückten den Vorwand, sich zu beklagen."
Wassermann hatte eine Vorliebe für die durch und durch "jüdischen Juden" wie auch Josef Roth und Franz Kafka. Doch war Wassermann wohl der zwiespältigste dieser drei Autoren, auch wenn er bis zu seinem Tod Mitglied der jüdischen Gemeinde Graz blieb.
Übrigens: Der amerikanische Schriftsteller Philip Roth hat später wie Joseph Roth und Jakob Wassermann das "jüdische" Bild osteuropäischer ultra-orthodoxer Judentum aufgenommen, um ein authentisches Judentum als Gegensatz zum assimilierten, entleerten Judentum der amerikanischen Vorstädte zu zeichnen. -
So stand Jakob Wassermann zwischen mehreren Fronten, abgelehnt von den orthodoxen und zionistischen Juden, abgewiesen von den Deutschen, um die er warb. Die Unsicherheit wurde noch größer als am 24.Juni 1922 der jüdische Außenminister Walther Rathenau ermordet wurde, mit dem Wassermann befreundet war und für den er einen öffentlichen Nachruf schrieb.
Diesen Mord empfand er , als sei er als auf alle Juden gezielt gewesen. "Jene unwiederbringliche Symbiose der beiden Völker- in niemandem, es wäre denn Heinrich Heine, ist sie fruchtbarer gewesen", meint Hilde Spiel, "und keinem erschien sie so fatal."
Immer wieder hat Wassermann nach dem "Los der Juden" gefragt und überlegt: "Was ist ein Jude? Was ist jüdisch? Was ist Judentum?" Juden waren für ihn "die Gezeichneten, Auserwählten, mit Erinnerungen Beladenen, Schicksalserfüllten".
Gegen Ende seines Lebens im Jahr 1933, als die braunen Horden endgültig das Land beherrschten, gestand Wassermann in seinen "Selbstbetrachtungen": "Nun hat mich aber doch das Schicksal zum Juden gemacht, das heißt zu einem Menschen, der sein Alles dransetzt, Blut und Seele, Leben und Nachleben, um zur 'Gleichgewichtslage' zu gelangen; wundert es dich da noch, dass die Idee der Gerechtigkeit über ihm hängt wie eine azurne Flamme?"
Wassermanns leidenschaftliche Suche nach Gerechtigkeit hat ihn, wie viele seiner jüdischen Leidensgefährten, während seines Lebens geleitet, mehr noch, obwohl er sich lange Zeit in erster Linie als "deutscher Dichter" fühlte, waren auch für ihn Gerechtigkeit und Judentum unauflöslich miteinander verbunden.
Wie in seinem Jugendroman "Kaspar Hauser", der Geschichte des Findlings, in "Der Fall Maurizius" und "Etzel Andergast" der Ruf nach "Gerechtigkeit für die Unschuld" ertönt, so verkünden viele seiner literarischen Figuren eine bessere und gerechtere Welt, eine aus eigener Bitternis und der Anschauung der "Kälte der Seelen, Trägheit der Seelen, Verkrustung der Seelen" entwickelten Utopie, als deren Prophet sich der Schriftsteller sah. Laut Thomas Mann war er stets besorgt um das Gute gewesen und sah seine moralische Verpflichtung darin, den Kampf wider die "Trägheit des Herzens" aufzunehmen.
Wassermann bekundet in seinem Werk immer wieder große Empathie für die Leidenden, Schwächeren und Hoffnungsvollen und vertritt dabei nicht selten einen moralischen und elitären Rigorismus. Denn die Pflicht des jüdischen Schriftstellers sei es, so Wassermann, an der Humanisierung der Gesellschaft mitzuwirken.